Caput
Mortuum: auf deutsch der Totenschädel, zugleich aber auch der
Name eines Pigmentes, eines Farbstoffes - An Caput Mortuum lassen sich
einige der Charakteristika des Werkes von Günther Wilhelm aufzeigen.
Da ist zunächst einmal die schon in den frühen Werken auftauchende
Beziehung zur Chemie und ihrer Urahnin, der Alchemie. So bezeichnete man
im Mittelalter zunächst die wissenschaftliche Beschäftigung
mit chemischen Stoffen. Die Chemie fasziniert Günther Wilhelm bis
heute, und in verschiedenen Kunstformen setzt er sie ein, etwa in der
Lithographie, bei der der Stein die Farbe mittels chemischer Prozesse
annimmt und abstößt, oder auch bei der Fotographie und der
Radierung. Aus der Alchemie wurde später eine geheime "Schwarze
Kunst" - neben der Naturwissenschaft -, zu deren Zielen u. a. die
Verwandlung unedler Metalle oder anderer Substanzen in Gold gehört.
Günther Wilhelm bezieht sich in seiner Farbradierung Tabula Smaragdina
auf die Smaragdtafel, die nach der alchemistischen Legende in der
Cheops-Pyramide gefunden worden ist und das Testament des Hermes Trismegistos
sein soll. Der Text enthält nicht nur einige der essentiellen Glaubensätze
der Alchemie, etwa "wie oben, so unten", sondern befasst sich
auch mit dem Scheiden der Metalle und mit der Destillation. Und damit
sind wir wieder bei Caput Mortuum: ist dies doch in der Symbolsprache
der Alchimisten der in der Retorte verbleibende Rückstand bei der
Destillation flüchtiger Substanzen, "nach dem der Geist ausgetrieben
ist". Bereits arabische Alchimisten bezeichneten so den Rückstand
bei der Erhitzung natürlich vorkommender Sulfate, der sogenannten
Vitriole, zur Erzeugung von Schwefelsäure. Dieser Rückstand
bildet ein Pigment, das in der Malerei als Farbstoff eine Rolle spielt,
und so haben wir es denn auch in der Kunst, das "Caput Mortuum".
Ein zweites Charakteristikum der Wilhelmschen Kunst findet sich im Caput
Mortuum , sowohl im Totenschädel, der noch von dieser Welt ist
und doch Symbol der jenseitigen, wie auch im Pigment, das ebenso die verschiedenen
Aggregatzustände verbindet wie die beiden "schwarzen Künste",
die Alchemie und den Druck respektive die Grafik. Dieses Charakteristikum
ist das Überschreiten von Grenzen, der Grenzgang.
Selten beschränkt sich Günther Wilhelm auf ein Thema, auf eine
Kunst oder Ausdrucksform. Er beherrscht zahlreiche Techniken, fast immer
verwendet er solche der Verfielfältigung; selten schafft er Werke,
die singulär wären. Günther Wilhelm beherrscht natürlich
auch klassische Maltechniken, häufiger aber verwendet er Radierung
und Lithographie, Siebdruck, Holz- und Linolschnitt, Fotographie, Metallbearbeitung
und Galvanisation und inzwischen auch die digitale Bearbeitung, die für
die Vervielfältigung ganz neue Möglichkeiten bietet, etwa die
der Modularität. In den meisten dieser Techniken wird sowohl seine
bereits angesprochene Vorliebe für chemische Prozesse deutlich, wie
auch für Stein und Metall. Oft vermischt er Materialien und Techniken,
werden zur Lithographie Fototechniken eingesetzt oder in eine Radierung
Metallprägungen, bei denen der leidenschaftliche Sammler nicht selten
Gegenstände mit einbringt, die er irgendwann einmal entdeckt hat.
Als Grenzgänger zwischen Ausdrucksformen, Stilarten und Techniken
hat man es nicht unbedingt leicht in einer Kunstszene, die eher auf Konformität
setzt. Und Günther Wilhelm macht es dieser Szene auch aus einem anderen
Grund nicht einfach, ist seine Thematik doch oft eher düster, und
immer wieder greift er Themen auf wie Fesselung/Bondage oder Fetischismus.
Ein Fetisch ist in afrikanischen Religionen und im Voodoo eine "Sekundärgottheit",
die zwischen Mensch und dem Bereich des Heiligen vermittelt und auch als
Hilfsmittel für weiße Magie dient. In unserem Sprachgebrauch
und auch in der Kunst steht er für jeden Gegenstand der sakralen
oder profanen Verehrung - auch der rein sexuellen.
Gerade in diesem Bereich ist die Gefahr der Missverständnisse groß
wie auch der Vereinnahmung. Dieser ist Günther Wilhelm bisher erfolgreich
entgangen.
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