PLASTISCHE ARBEITEN:
Caput Mortuum - "nach dem der Geist ausgetrieben ist"

Friedhelm Schneidewind gilt als einer der kompetentesten Vampirologen. Neben zahlreichen Artikeln, Geschichten, Essays und Liedern veröffentlichte er mehrere Bücher. Er war Redakteur der CD-ROM "Draculas großes Vampir-Lexikon" u. a. m. Im Oktober 1999 erschien im Berliner Lexikon-Imprint-Verlag (»Schwarzkopf & Schwarzkopf«) sein »Lexikon rund ums Blut«, im September 2000 das »Lexikon von Himmel und Hölle«, im November 2000 »Das ABC rund um Harry Potter«. und im November 2001 »Das große Tolkien-Lexikon« (alle in gleichen Verlag).

Caput Mortuum: auf deutsch der Totenschädel, zugleich aber auch der Name eines Pigmentes, eines Farbstoffes - An Caput Mortuum lassen sich einige der Charakteristika des Werkes von Günther Wilhelm aufzeigen.
Da ist zunächst einmal die schon in den frühen Werken auftauchende Beziehung zur Chemie und ihrer Urahnin, der Alchemie. So bezeichnete man im Mittelalter zunächst die wissenschaftliche Beschäftigung mit chemischen Stoffen. Die Chemie fasziniert Günther Wilhelm bis heute, und in verschiedenen Kunstformen setzt er sie ein, etwa in der Lithographie, bei der der Stein die Farbe mittels chemischer Prozesse annimmt und abstößt, oder auch bei der Fotographie und der Radierung. Aus der Alchemie wurde später eine geheime "Schwarze Kunst" - neben der Naturwissenschaft -, zu deren Zielen u. a. die Verwandlung unedler Metalle oder anderer Substanzen in Gold gehört.
Günther Wilhelm bezieht sich in seiner Farbradierung Tabula Smaragdina auf die Smaragdtafel, die nach der alchemistischen Legende in der Cheops-Pyramide gefunden worden ist und das Testament des Hermes Trismegistos sein soll. Der Text enthält nicht nur einige der essentiellen Glaubensätze der Alchemie, etwa "wie oben, so unten", sondern befasst sich auch mit dem Scheiden der Metalle und mit der Destillation. Und damit sind wir wieder bei Caput Mortuum: ist dies doch in der Symbolsprache der Alchimisten der in der Retorte verbleibende Rückstand bei der Destillation flüchtiger Substanzen, "nach dem der Geist ausgetrieben ist". Bereits arabische Alchimisten bezeichneten so den Rückstand bei der Erhitzung natürlich vorkommender Sulfate, der sogenannten Vitriole, zur Erzeugung von Schwefelsäure. Dieser Rückstand bildet ein Pigment, das in der Malerei als Farbstoff eine Rolle spielt, und so haben wir es denn auch in der Kunst, das "Caput Mortuum".
Ein zweites Charakteristikum der Wilhelmschen Kunst findet sich im Caput Mortuum , sowohl im Totenschädel, der noch von dieser Welt ist und doch Symbol der jenseitigen, wie auch im Pigment, das ebenso die verschiedenen Aggregatzustände verbindet wie die beiden "schwarzen Künste", die Alchemie und den Druck respektive die Grafik. Dieses Charakteristikum ist das Überschreiten von Grenzen, der Grenzgang.
Selten beschränkt sich Günther Wilhelm auf ein Thema, auf eine Kunst oder Ausdrucksform. Er beherrscht zahlreiche Techniken, fast immer verwendet er solche der Verfielfältigung; selten schafft er Werke, die singulär wären. Günther Wilhelm beherrscht natürlich auch klassische Maltechniken, häufiger aber verwendet er Radierung und Lithographie, Siebdruck, Holz- und Linolschnitt, Fotographie, Metallbearbeitung und Galvanisation und inzwischen auch die digitale Bearbeitung, die für die Vervielfältigung ganz neue Möglichkeiten bietet, etwa die der Modularität. In den meisten dieser Techniken wird sowohl seine bereits angesprochene Vorliebe für chemische Prozesse deutlich, wie auch für Stein und Metall. Oft vermischt er Materialien und Techniken, werden zur Lithographie Fototechniken eingesetzt oder in eine Radierung Metallprägungen, bei denen der leidenschaftliche Sammler nicht selten Gegenstände mit einbringt, die er irgendwann einmal entdeckt hat.
Als Grenzgänger zwischen Ausdrucksformen, Stilarten und Techniken hat man es nicht unbedingt leicht in einer Kunstszene, die eher auf Konformität setzt. Und Günther Wilhelm macht es dieser Szene auch aus einem anderen Grund nicht einfach, ist seine Thematik doch oft eher düster, und immer wieder greift er Themen auf wie Fesselung/Bondage oder Fetischismus.
Ein Fetisch ist in afrikanischen Religionen und im Voodoo eine "Sekundärgottheit", die zwischen Mensch und dem Bereich des Heiligen vermittelt und auch als Hilfsmittel für weiße Magie dient. In unserem Sprachgebrauch und auch in der Kunst steht er für jeden Gegenstand der sakralen oder profanen Verehrung - auch der rein sexuellen.
Gerade in diesem Bereich ist die Gefahr der Missverständnisse groß wie auch der Vereinnahmung. Dieser ist Günther Wilhelm bisher erfolgreich entgangen.